Eine Lernende Organisation ist wie ein Mensch,
der seine Erfahrungen wach in sein nächstes Handeln einbringt:
Aber nicht überfordert und überlastet wie Einzelne,
sondern abgesprochen, gemeinschaftlich, unterstützend.
Nicht angegriffen und gekränkt, sondern Verständnis suchend,
nicht resigniert, sondern aktiv, die Reaktionen verstehen wollend,
im Sinne aller Beteiligten, der Gesellschaft und der Umwelt.
Grundlage dafür ist gemeinschaftliches Denken, das nicht die Erfolge der Einzelnen,
sondern die gemeinsam erreichten Ziele der Einrichtung im Vordergrund sieht.
Fehler machen dürfen
Zu einer lernenden Organisation gehört eine offene Fehler-Kultur:
Fehler-Bereiche zur Position angemessen definieren, Risiko-Abschätzungen
üben und reflektieren, aus den Fehlern gemeinschaftliches Lernen ohne
Belastung der Person organisieren.
http://www.lernendeorganisation.de.vu
http://de.wikipedia.org/wiki/Lernende_Organisation
http://www.4managers.de/management/themen/lernende-organisation/
dort:
Wie eine Organisation lernt
Eine Organisation kann sowohl mehr, als auch weniger Wissen haben als die Summe ihrer einzelnen Akteure (s.a.
Wissensmanagement)
Nachhaltig lernende Organisation
Durch Beteiligung aller Mitarbeitenden in einem Bereich und durch
Orientierung auf alle Ebenen der Einrichtung und ihrer Umwelt wird ein
Prozeß angeregt, der von den Beteiligten immer wieder selbst angestoßen
und erneuert werden kann.
Die Nachhaltigkeit bezieht sich damit auf den zeitlichen und den umweltbezogenen Kontext und deren Veränderungen.
Start dieses
Themas
http://www.slideshare.net/lembke/lernende-organisation-und-change-management-neu-gedacht
sehr viel frühere Grundlagenarbeit: Fritz Letsch:
Lernen zurückerobern, Theater-Werkstatt-Arbeit als kooperative Arbeitsform
erschienen in: Kulturen des Lernens, Bildung im
Wertewandel, Hg. von Hannelore Zimmermann & Verband unabh.
Bildungsinitiativen und Tagungshäuser Baden-Württemberg, talheimer
sammlung kritisches wissen 1995
Fast alle unsere herkömmlichen Lernstrukturen sind autoritär
organisiert. Vor allem das Lernen und Lehren, aber auch die
verschiedenen Formen von Arbeit und Zusammenarbeit sind von der
Situation eines ,vorne und hinten', eines ,unten und oben' geprägt, auch
wenn in vielen Situationen die Einwegkommunikation aufgelockert wurde.
Obwohl einzelne Lehrende bemüht sind, demokratische Formen einzuführen,
das Prinzip ist geblieben: Die Lehrperson gibt Wissen ab, die Lernenden
dürfen Fragen stellen, jemand gibt Arbeit, andere erledigen sie gegen
Bezahlung; jemand hat Fachwissen, die anderen können es gegen Leistungen
übernehmen. Es wurde uns beigebracht, dass darin ein Gefälle, dass
belehren ein einseitiger Fluss zu sein hätte.
Dabei wird gerade auch im Geschäftsleben und nun auch im ,lean
management' das alte System der Kontrolle durch die Mächtigen von einem
Arrangement aller Beteiligten abgelöst, weil Partnerschaften die Energie
besser fliessen lassen.
Modelle, in denen es auch anders geht, sind reichlich, aber nicht sehr
bekannt. Neben den Selbstverwalteten Betrieben, Belegschaftsbetrieben,
Kooperativen und Genossenschaften sind in den einzelnen Sparten
verschiedene Gemeinschaftsstrukturen entwickelt worden:
Gemeinschaftspraxen, Kanzleigemeinschaften, Kollegen-Netze und
Bürogemeinschaften.
Ein sehr schönes Modell der Übergabe eines ,Chef-Betriebes' in
Belegschaftshand durfte ich Anfang des Jahres in Birmingham erleben: Der
Besitzer einer Installationsfirma für Zentralheizungen mit 14
MitarbeiterInnen möchte in den nächsten zwei Jahren in Ruhestand gehen,
sein Sohn möchte die Firma nicht übernehmen, an die Konkurrenz oder
Aussenstehende möchte er nicht verkaufen.1)
Eine Agentur erstellte ein Programm, zusammen mit der Belegschaft den
Ankauf und die Übernahme der Verantwortung zu organisieren: Die Finanzen
der einzelnen als Teilhaber, den Wert des Betriebes, Modalitäten der
Übernahme, Fortbildungen für das Verständnis des Betriebsablaufes und
ein Entwurf für die Struktur des Betriebes als Kooperative sind einzelne
Elemente dieser Arbeit. Im Verlauf der Übernahme soll den einzelnen
MitarbeiterInnen die Sicherheit und Kompetenz für die Mitverantwortung
vermittelt werden, die zur gemeinsamen Verwaltung notwendig ist.
Solches Lernen nur ,vom Katheter aus' zu organisieren, wäre wie rein
theoretischer Fahr-Unterricht: Ohne das Erleben der eigenen Fähigkeit
und die Ansiedlung im eigenen Erfahrungsfeld und den schon beherrschten
Arbeitsformen sähe das wie eine glatte Überforderung aus.
Die Feststellung dass jeder Mensch, der sich überlegt, ob er sich gerade
noch ein Bier leisten kann, damit eine Haushaltsentscheidung trifft,
und dass neben der scheinbaren Komplexität von Haushaltsplänen und
Bilanzen jedeR sowieso die Konsequenzen der nötigen Entscheidungen
trägt, sind bescheidene Angriffe auf eine Bastion der Macht: Geld und
alles darum herum sind Tabus, von Berufsfertigkeiten der Buchhaltenden
auch wohl behütet. Den gleichen Schutz geben Lehrende ihrem Berufsfeld:
Wir tun das Beste für Euch!
Veränderungen lernen
Gegenbewegungen und ihre Re-Integration: Verschiedene politische
Bewegungen, später unter dem Begriff ,Neue Soziale Bewegungen'
zusammengefasst, haben Veränderungen des HERRschenden (Geschäfts-)Lebens
bewirkt - punktuelle oder auch grundsätzlichere. So wie die
Ostermarschierer zuerst nur die Wiederbewaffnung, die Atomkraftgegner
diese gefährliche Technologie, die Friedensbewegung die Nachrüstung und
die Ökologiebewegung die Zerstörung unserer Lebensgrundlage verhindern
wollten, entstanden noch viele andere Bewegungen, die oft nur an einem
Punkt begannen, aber durch die (Nicht-)Beachtung durch Verantwortliche,
Öffentlichkeit oder staatliche Gewalt breiter, kritischer und
politischer wurden.
Durch solche Konfrontationen und dem Gefühl der eigenen Machtlosigkeit
entdeckten immer wieder mehr Menschen die ,Gewaltfreie Aktion'. In der
BRD werden unter diesem Namen schon lange Trainings angeboten, die für
eine politische Einmischung und Veränderung qualifizieren. Die Grundidee
hierfür kam aus der gewaltfreien Bewegung Ghandis, die Methoden aus den
Bürgerrechtsbewegungen der USA, die Anwendungsidee aber kommt aus dem
jeweiligen Kontext einer Gruppe, die ihre Aktion selbst entwickelt und
durchführt. TrainerInnen können von den Gruppen herangezogen werden, um
an den Ursachen des Problems, den Zielen der gemeinsamen Arbeit und der
Umsetzung der beschlossenen Aktionen zu arbeiten - neue Wege
erschliessen sich, wenn gängige Reaktionsmuster aufgegeben werden.
Die Krankheiten des Systems und ihre sprechenden Symptome erfordern
Žnderung statt Anpassung. Den einzelnen Symptomen muss auf den Grund
gegangen werden, damit eine Veränderung Konsequenzen haben kann: auf
Macht und Geld, Status und eigene Sicherheit, auf Gewohnheit und
Sonderrechte. Die Angst vor Verlusten ist so das grösste Hindernis, klar
und bewusst auf eine Problematik zuzugehen.
Eine Lust auf Veränderung ist dagegen nur mit Entdeckungen zu wecken:
Wenn das ,Andere' denkbar wird, folgen Versuche ihm näher zu kommen
unmittelbar. Die Suche nach Verbesserungen ist der Motor unserer
Entwicklung. Diese Lust mitzumachen, kann aber nur in offenen Systemen
gemeinschaftlichen Lernens erfahren werden. Schulen, Universitäten und
Betriebe lassen in ihrer hierarchischen Struktur kaum konkurrenz- und
wertfreie Räume zu.
Die Möglichkeiten der freien Szenen erscheinen im Gegensatz dazu zwar
zuerst oft vage und undeutlich, bringen aber weit interessantere
Ergebnisse, als die herkömmlichen Formen des Unterrichts - gute
Moderation und Anleitung vorausgesetzt. Das gemeinsame Lernen und
Entwickeln an einer Thematik setzen auch sehr viel tiefer an der
Motivation der einzelnen an, so dass Kraft und Energie in besonderer
Weise freigesetzt werden.
Diese Erfahrungen werden heute immer noch weitgehend vernachlässigt, es
findet keine Übersetzung in die alltägliche Praxis unserer Kinder,
Studierenden und Mitarbeitenden statt: Nur in wirklich erlebter
Gemeinsamkeit, im gleichberechtigten Austausch in allen Teilen ist diese
Motivation zu wecken. Dass vor allem Lehrende sich damit so schwer tun,
ist für mich ein ernüchternder Schrecken: Viele haben tatsächlich nur
Stoff abzugeben, haben keine grundlegende Kommunikation gelernt. Aber:
Wer Kindern Stoff verabreicht, macht sie süchtig.
Wie sich Schulen zu Kinder-, Jugend- und Lernzentren entwickeln könnten,
in denen ihre natürliche Neugierde nicht zerstört wird, in denen sie
auch lernen, sich vor dem unberechtigten Zugriff Erwachsener zu
schützen, ihre eigenen Interessen herauszuarbeiten und zu vertreten,
statt eine verdummende Jugendzeit zu verbringen, müssen wir alle erst
lernen. Es gab derartige Traditionen und es wird nötig sein, neue
Bräuche dieser Art zu entwickeln, offene Traditionen zu finden.
Lust an Arbeit
Von verdorbenen Begriffen zum eigenen Inhalt: Beim Wort ,Arbeit'
reagieren die meisten Menschen, die ich kenne, eher negativ. Ich arbeite
gerne, ohne davon süchtig zu sein, weil mir die meisten Aufgaben Spass
machen oder mich längerfristig weiterbringen. Bei vielen ist allerdings
nicht nur der Begriff verdorben, sondern auch der Inhalt: sie fühlen
sich nicht ernst genommen, empfinden ihr Schaffen ziellos, ärgern sich
über lästige Kollegen, es fehlen ihnen Verbindungen zur eigenen
Identität.
Auch die alte Theologie schlägt noch auf die heutige Wirklichkeit durch:
Leben und Arbeit wären Leiden, nur gesegnete Menschen lebten im
Reichtum, der Rest muss Fron erleiden. Mit unserer heutigen Denkweise
ist dies zwar nicht mehr zu vereinbaren, aber diese alten Bilder wirken
noch, stecken ganz tief in uns. Würden wir sonst so unreflektiert die
Mythen des Kapitals schlucken? Doch nicht nur, weil wir zur ,Belohnung'
kurz mal in den Urlaub fliegen dürfen?
Das eigene zu definieren ist nur möglich, wenn wir auch selbstbewusst
sind. Dieses Wissen um unser Selbst entsteht im Austausch mit anderen
und kann damit auch nur gemeinsam entwickelt werden. Der Verlust vieler
Verbindungen und auch der Rituale, die Kontakte organisieren können, hat
zu grosser Unsicherheit geführt, die nur im Dialog aufgehoben werden
kann, und für die unsere Medienlandschaft kein Ersatz sein kann. Nur
durch die konkreten Auseinandersetzungen erleben wir uns als Teil
unserer Mitwelt, nur das gibt uns letztendlich die Anerkennung,
Geborgenheit und Sicherheit, auf die wir uns verlassen können. Die allzu
bekannten Spielformen der Oberflächlichkeiten täuschen Verbindung nur
vor, verankern uns nicht in unseren Zusammenhängen.
Wenn wir unsere tieferen Erfahrungen, die sich oft nur in unseren
Gefühlen ausdrücken, ernst nehmen, wird allzu oft deutlich, dass unsere
Lebensformen den eigenen Bedürfnissen oft nicht gerecht werden (können).
Da ein Patentrezept, das für alle gelten kann, nicht in Sicht ist,
sollte vielleicht jeder damit beginnen, den eigenen Stil selbst-bewusst
zu definieren und den anderen als wandelbar und auseinandersetzungsfähig
darstellen.
In Systemen vernetzt denken
Hinter dem Stichwort ,Vernetzung' verbirgt sich eine neue Denkrichtung,
die uns Veränderungen gegenüber wacher macht: das Systemische Denken.
Ausgangspunkt ist, dass alle Menschen Teile eines Systems sind, durch
das sie die Welt begreifen und je nach ihrem Standort (Wissen,
Erfahrung, Stellung, Herkunft) für sich definieren. Indem ich Kontakt zu
anderen, mir bisher fremden Teilsystemen und -ebenen aufnehme, wird die
eigene Definition wieder in Frage gestellt.
Indem wir begreifen, dass wir das System anderer nicht einfach in unser
eigenes einfügen können, sondern in der Realität mit mehreren Systemen
und Blickwinkeln leben, ist die Vernetzung ein offener Austausch, eine
mögliche Begegnung von anerkannt Verschiedenem. Diese Anerkennung
beinhaltet den Respekt vor den Positionen der anderen und muss folglich
auch von einer mehrfach verschiedenen Sicht der Welt und unserer
Existenz darin ausgehen. Eine Verständigung wird in der Begegnung
möglich, die nicht die anderen zum eigenen Standpunkt missionieren will.
Eine der Grundlagen dafür ist, den ,Besitz der Wahrheit' als Haltung
aufzugeben.
Von verschiedenen Blickwinkeln zum Gemeinsamen: Wir haben in unseren
hierarchischen Systemen gelernt, dass die Wahrheit von oben definiert
wird, wenn auch alle dabei von Demokratie und Gemeinsamkeit reden. Ein
offener Umgang mit mehreren Wahrheiten ist in unseren
Kommunikationsformen nicht vorgesehen.
Ich möchte im folgenden einige Formen des ,Theaters der Unterdrückten'
vorstellen, die es ermöglichen, mit der Realität aus dem eigenen und dem
fremden Blickwinkel umzugehen. Damit kann eine Sicht auf das Gesamte
unserer Gesellschaft und unserer Wirklichkeit ermöglicht werden. Das
,Theater der Unterdrückten' in der Art von Augusto Boal korrespondiert
in seinen Grundlagen mit der Pädagogik Paulo Freires und mit den
Prinzipien der Kritischen Psychologie.
Im Rahmen meiner Arbeit hier suche ich noch einen passenden Begriff.
,Theater der Unterdrückten' wird in unserem Kontext oft falsch
verstanden, mit dem klassenkämpferischen Zungenschlag der Moderne
zusammengebracht. Dabei überwindet gerade diese Methodik die
Front-Definition. Als Versuch der Neubenennung ist der Begriff ,Reale
Theaterarbeit' im Gegensatz zum ,Illusionstheater' entstanden.
Beispiel: Reale Theaterarbeit
Das Wort Theater ist missverständlich geworden, seit viele Menschen
aufgebrochen sind, die alten Spiele und Rituale zur Deutung und
Ver-Deutlichung ihres Alltags einsetzen. Die TheaterwissenschaftlerInnen
kommen kaum nach, die Kriterien und Abgrenzungen für die jeweiligen
Methoden fortzuschreiben. Was zwischen Improvisation, Psychodrama,
Rollenspiel, Lehrstück-Arbeit, Theatertherapie, etc. entworfen und
entwickelt worden ist, lässt sich natürlich jeweils ableiten und
einordnen, so auch meine Arbeit.
Mein Spezialbereich ist das ,Theater der Unterdrückten', wie es uns
Augusto Boal aus Brasilien ins europäische Exil mitgebracht hatte. Er
wiederum bezieht sich (neben etlichen anderen) vor allem auf Brecht: Die
Arbeit an der Erkenntnis entspricht sehr dem Ansatz der
Bewusstseinsbildung bei seinem pädagogischen Landsmann und Kollegen
Paulo Freire.
Die offene Sammlung von Methoden, die das Theater der Unterdrückten
neben einem Grundkanon darstellt, kann auch unseren Kontext der
verdeckten Mechanismen und Tabus durchleuchten helfen und eine
spielerische Erkenntnis-Anleitung in unsere verschiedenen sozialen und
pädagogischen Lernfelder bringen.
Der Begriff ,Reale Theaterarbeit' ist ein Versuch, im Gegensatz zu Literatur-Inszenierungen, das Eigene in Szene zu setzen.
1. Die Methoden des ,Theaters der Unterdrückten'
,Das Theater der Unterdrückten ist immer Dialog: Wir lehren und lernen
(_). (Es) geht von zwei Grundsätzen aus: Der Zuschauer, passives Wesen,
Objekt, soll zum Protagonisten der Handlung, zum Subjekt werden und das
Theater soll sich nicht nur mit der Vergangenheit beschäftigen, sondern
ebenso mit der Zukunft. Schluss mit einem Theater, das die Realität nur
interpretiert; es ist an der Zeit, sie zu verändern (_). Theater der
Unterdrückten' heisst Auseinandersetzung mit einer konkreten Situation,
es ist Probe, Analyse und Suche" (Boal 1980, S. 68).
Das Statuen-Theater ist ein Grundelement gemeinsamer Theaterarbeit, es
ist wie der Buchstabe in der Sprache der Bilder. Die Technik ist
einfach, die Zuschauer setzen ihre Vorstellungen in ein Gruppenbild um,
mit Hilfe der Ausdrucksmöglichkeit ihrer zu Statuen erstarrten Körper.
Damit wird einer Unterdrückungssituation ein Gesicht gegeben, das die
Vielschichtigkeit der jeweiligen Situation in Szene setzt. Diese Bilder
geben mehr Einblick in die Komplexität von Situationen als lange
Erklärungen und Diskussionen, weil die persönliche Sicht- und
Erlebensweise ganz deutlich wird.
Ausgangspunkt für das Statuen-Theater ist ,eine Runde
Körperbewusstsein', bei mir eingeleitet durch einfache Übungen von Fuss
bis Kopf, die neben der Beweglichkeit und Aufmerksamkeit auf
Deformationen des Körpers und mit den Variationen unseres Ausdrucks im
jeweiligen sozialen Kontext spielen.
Der Übergang zum Forum-Theater ist dann fast fliessend: Wenn ein Bild
von Unterdrückung und Resignation aus dem Statuentheater in einen
sozialen Kontext gesetzt und um die Handlungsebene mit Sprache, Gestik,
Bewegung und Handlung versehen wird, kommt ,Handlungsbedarf' ins
Publikum: Der Wunsch, Resignation und Unterwerfung nicht mit ansehen zu
müssen, und eigene ähnliche Erfahrungen oder Žngste lassen meist im Nu
Teilnehmende aufspringen und Versuche eines anderen Ausganges der Szene
entwerfen und erproben.
Der Zuschauer kann über den Joker Einfluss auf den Spielverlauf nehmen.
Der Joker vermittelt zwischen den Spielszene-SchauspielerInnen und dem
Publikum. Er stellt dem Publikum knapp das Umfeld der Szene vor, macht
vielleicht auf Besonderheiten in einzelnen Rollen aufmerksam (Alter,
Geschlechtertausch, Beruf, Schicht, etc.) und lädt das Publikum nach der
ersten Vorstellung der Szene zur Veränderung ein. Wichtig ist dabei,
dass alle neuen Versuchspersonen in der Wiederholung die gleiche
Ausgangsszene bekommen und diese auch nicht einfach magisch verändern
dürfen.
Verschiedene Techniken des Bilder-Theaters, auch ,images' genannt,
dienen vor allem der Vertiefung und genaueren Untersuchung von Szenen.
Dabei wird die Ausgangs-Statue oder eine Passage aus einem Forum-Theater
genommen und durch die anderen Teilnehmenden mit den Polizisten im
eigenen Kopf konfrontiert, die (ähnlich die Eltern- und Lehrer-Ichs) die
eigenen Über-Ich-Rollen aussprechen sollen, welche Assoziationen die
anderen TeilnehmerInnen in die Szene tragen. Aus dieser ,kollektiven
Projektion' wählen dann die spielenden Personen Anteile aus, die ihnen
interessant und wichtig erscheinen.
Der Regenbogen der Wünsche ist eine sehr ähnliche Methodik, die
allerdings vor allem die möglichen Wünsche der beteiligten Personen in
den Projektionen aufscheinen lässt. Die Spielenden wählen auch hier
wieder die Ideen der hinter ihnen sprechenden Personen aus, die ihnen
selbst im Kontext hilfreich sein könnten.
Daneben gibt es noch eine Menge von Techniken und Übungen, die zur
genaueren Erforschung einer Thematik dienen können. Das Unsichtbare
Theater zählt für mich in unserer Kultur zu diesen Werkzeugen. Es ist
eine gute Hilfe, Tabus auf ihre Wirksamkeit und ein Publikum auf unsere
Vorurteile hin zu überprüfen. Einen anderen als einen
kritisch-reflektierten Einsatz kann ich nicht befürworten, weil eine nur
spielende Verwendung zu unfruchtbaren Irritationen aller Beteiligten
führt.
Regelmässig wird mir die Frage gestellt, wie die Grenze zu Psychodrama
und Therapie zu ziehen ist. Der Hinweis von Augusto Boal, dass unser
gesamtes Handeln immer gleichzeitig psychologisch, pädagogisch und
politisch ist, ist für das verantwortliche Berufshandeln vieler keine
Hilfe, kann aber eine Richtung weisen:
,Theater der Unterdrückten' wird immer auf den sozialen und
pädagogischen Kontext eingehen und dabei Mechanismen und Prägungen
unserer Psyche wahrnehmen, anspielen und austauschen, ohne auf der
psychologischen Ebene in die persönlichen Geschichten zu gehen, wohl
aber den politischen Hintergrund zu bearbeiten. So liegt gerade in der
Projektionsebene ,der Polizisten und der Wünsche' der Reiz in der
Situationswiedergabe der ganzen Gruppe. Im klaren Blick auf die
gemeinsame Prägung versteht sich die einzelne spielende Person dann als
beispielgebende, nicht als Deutungsobjekt der anderen.
Vom Rollenspiel hebt uns der weitergehende Schritt zur ,Probe auf die
Wirklichkeit' ab. Was zumindest in den mir bekannten Rollenspiel-Riten
oft an der Person oder ihrer Situation hängenbleibt, wird im ,Theater
der Unterdrückten' auf die gesellschaftliche Wirklichkeit übertragen:
Stimmt meine Interpretation eines Zusammenhanges auch in einem anderen
Bereich? Žndert eine neue Sichtweise auch andere meiner Lebensbereiche?
Auf der Suche nach authentischen Verhaltensweisen geraten wir jeweils
über fachliche und berufliche Grenzen zu neuen Fragen.
Von der Spielpädagogik zum eigenen ,Ernst des Lebens' führt somit ein
gradliniger Weg, der auch sofort gemeinsam begangen werden kann. Der
unverbindliche ,Spass' wird dadurch nicht zur sturen Arbeit, sondern zu
einem tieferen Erleben gemeinsamen Ausprobierens, das manchmal
makabererweise, in den tiefsten und bittersten Situationen die beste und
herbste Komik bekommen kann.
Aufbrüche wagen
Das ,Reale Theater', das ,Theater der Unterdrückten' taugt zu
szenischer Arbeit in postmodernen Verhältnissen, weil es das Denken in
systemischer Vielfalt in den Szenen und in der gemeinsamen Regiearbeit
transparent machen kann. Ausgehend von den Kernszenen, die in den
Statuen - oder in den Forum-Bildern von Teilnehmenden vorgestellt
werden, entwickeln wir ja gemeinsam den Blick auf Mechanismen der
Unterdrückung (und Unterwerfung), in der die Wahrnehmung jeder Person
unbestritten neben die der anderen gestellt wird. Dabei geht es aber
nicht um Beliebigkeit, sondern um Einfühlung: Da jeder Mensch mit seiner
Geschichte und seiner Art verschieden fühlt, werden wir nicht die
gleichen Lösungen für alle finden.
Auch wenn wir regelmässig mit den Fertiglösungen, z.B.
kämpferisch-linker Positionen, zu tun haben (die wissen oft, wie den
Unterdrückten zu helfen ist), sind alt-moderne Reaktionsweisen 2)
meistens nicht mehr befriedigend: Jede ArbeitnehmerInnensituation ist
heute nicht einfach auf der Autoritäts- oder Abhängigkeitsebene
abzuhandeln, neben gewerkschaftlicher Entwicklung gilt es auch die
programmierte Arbeitslosen-Steigerung, verschiedene
Bewusstseinsentwicklungen und politische Rückfälle mitzudenken. Die
Auswege, zu Spass-Politik oder Privatisierung der Problematik, zu
Ein-Punkt-Bewegung oder Karriere, führen immer wieder zurück zu den
Fragen von Konkurrenz oder Solidarität und scheitern oft am Verlust des
gesellschaftlichen Konsenses, an persönlichen Problematiken oder
Kommunikationsschwächen.
Die Darstellung unserer Wahrnehmung in Theaterszenen führt uns erst bei
geübter und genauer Arbeit zur sicheren Haltung gegenüber Verwirrung,
Sprachlosigkeit und Indifferenz. In der ersten Erprobung kämpfen etliche
Teilnehmende mit der Fülle der Eindrücke und Möglichkeiten, weil wir
nicht geübt sind, selbst verschiedene Blickrichtungen einzunehmen und
differenziert mit den jeweils verschiedenen Žusserungen anderer
umzugehen.
Einerseits ermöglicht so die reale Theaterarbeit sehr intensive
Begegnungen und einen tiefgehenden Austausch, sie fordert auf der
anderen Seite auch die Fähigkeit selbst für Überblick, Einfühlung,
Wechsel und Disziplin in der eigenen Reaktion zu sorgen: Bei vielen
Teilnehmenden löst die intensive Arbeit eine breitere Palette von
Gefühlen aus, als sie sonst gewöhnt sind. So wird aus gemeinsamer
Theaterarbeit auch sehr oft ein persönlicher Aufbruch, eine Reaktion auf
schon lange bedrängende Einengungen.
Der Aufbruch aus Kunstbereich, Vermarktung und autoritären Verhältnissen
täte aber auch dem Theater insgesamt gut: Zwischen Staatstheatern,
Selbstausbeutung und (un-)möglichen Karrieren, Namen- und Star-Rummel
und der Sucht nach Berühmtheit ist heute keine vernünftige und
verantwortbare Arbeit mehr zu machen: In zunehmend demokratischen
Verhältnissen werden wir auseinandersetzungsfähiger sein müssen, als das
in durchaus auch bequemen autoritären Beziehungen von allen gelernt und
gefordert ist.
Theaterarbeit in der Werkstattform stellt sich natürlich auch gegen die
HERR-schenden Kunstbegriffe, die vor allem auf autoritären Prinzipien
(z.B.: Theater-Papst!) beruhen, aber kaum der Žsthetik der Allgemeinheit
oder des einzelnen entsprechen. Das gleiche Phänomen ist am Kunstmarkt
zu verfolgen: Manche Fälschungen wären teurer als Originale, die
Kriterien sind nur in der Lust der einzelnen Person zu finden, werden
aber im allgemeinen vom Geschmack und der Nachahmung anderer abgeleitet.
Unser Geschmack kann sich aber an der Art des Betreffens orientieren:
Das Nichts-Sagende wird nur durch künstliche Finanzierung und Gewohnheit
oder Brauchtum zur Kunst erklärt. Nur das eigene Tun kann uns anleiten,
stimmigen Geschmack und Gefühl wiederzufinden.
Für die Lehrenden bringt diese Arbeitsform das Wagnis neuer Rollen: Aus
der autoritären Belehrung mit dem immer neuen Problem der Motivierung
wird nun die qualifizierte Moderation: Die Anleitung von
selbstorganisierten Lernprozessen erfordert einige andere Fähigkeiten,
aber vor allem eine bewusste und reflektierte Pädagogik. Das gleiche
gilt für den/die SpielleiterIn: Als Joker im Forum-Theater besteht die
Aufgabe, eine Szene in verschiedenen Variationen zum Sprechen zu bringen
und zusammen mit dem (mitspielenden) Publikum zu ergründen.
Wichtigste Lerngrundlage ist dazu (neben dem Mut zu neuen Erfahrungen in
der Praxis) die kritische Reflexion im kollegialen Austausch, in der
die eigenen Anteile und die möglichen Fehler aus der jeweiligen
Situation besprochen werden können.
2. Die ,Neu-Heit' des Forschens
In unseren Schulen lernen wir im allgemeinen nicht ein Denken in
Zusammenhängen, sondern gehäufte Stoff-Mengen in zerrissenen Fächern,
nur im besten Falle (bei besonderer Fähigkeit einzelner, vielseitiger
oder zusammenarbeitender Lehrkräfte) ein zusammenklingendes Gemisch
verschiedener Wissensbereiche kennen. Wie in ,Trivial Persuit' entsteht
eine Ansammlung verschiedenster Fachwissen, die aber nicht
funktionalisiert werden können. So ist es am Ende kein Wunder, dass die
Mehrzahl der scheinbar Angelernten mit lexikalischem Wissen sich
anschliessend so ,anstellt', dass sie ,arbeitlos' bleibt: Aber was ist
das eigentlich, arbeitslos?
Ist nicht das Trimmen auf Anstellungen der Fehler, den angestellte und
verbeamtete Lehrende machen müssen? Natürlich regeln BAT und
Handwerksordnung, berufsständische Organisationen und Gewerkschaften in
ihrer Wirkung das Verhalten in unserer Gesellschaft - aber wer spricht
endlich einmal offen aus, dass sie alle nicht am Los der
Nicht-Privilegierten interessiert sind, weil sie Privilegien
verteidigen?
Solche Gedanken entstehen nicht in diesen Institutionen, sondern eher
gegen sie: Dazu brauchen wir im Kopf die Grenze als Lern-Ort. Auch die
Ausgegrenzten sind in ihrer Situation meist nicht fähig zu reagieren,
weil bei ihnen die Grenze schon gewirkt hat: Sie halten sich selbst für
unbrauchbar, wert-los. Aus dieser Situation in ein Lern- und
Forschungsprojekt zu kommen, ist aber eben sehr schwer zu organisieren.
Ein denkbarer Bereich ist die Sozial-arbeit und Sozialpädagogik, dieser
ist leider eher mit Helfersyndromen oder Ordnungskriterien befasst, als
mit der Fähigkeit, eine andere Pädagogik zu starten, die die Beteiligten
aufwertet.
In der Jugendarbeit werden schon seit längerem neue Wege gesucht. So
konnte im bayerischen Jugendring über Jahre zuerst in Wochenendseminaren
(als ,Aktionstheater' getarnt) die Methodik des ,Theaters der
Unterdrückten' vermittelt werden, bis dann eine Fortbildungsreihe aus
drei Einheiten unter dem Titel ,stop! tabu" zum Kennenlernen der
einzelnen Schritte bis zur eigenen Anwendung und Bearbeitung einzelner
Inhalte führte. In der Aufteilung von Elementen der eigenen Körperarbeit
und der Anwendung mit Jugendlichen, von Themen der Teilnehmenden und
Themen der Zielgruppe und der Unterscheidung der Erfahrungen in der
Lern- und Anleiterrolle entstand über ein Jahr hinweg eine intensive
Reflexion der eigenen Pädagogik und ihrer Auswirkung in der
Berufspraxis.
Studierende der Alice-Salomon-Fachhochschule für Sozialwesen in Berlin
entwickelten für ein viersemestriges Projekt, ,Theaterarbeit mit
Randständigen', eine Reihe von Lehraufträgen und Lernsituationen, in
denen sie sich mit den Möglichkeiten der theaterpädagogischen Arbeit in
ihren angestrebten Berufsrichtungen auseinandersetzen.
Spannend wäre für mich eine fortlaufende Entwicklung und Anwendung
solcher Reflexionsebenen in der Mischung verschiedener sozialer,
pädagogischer und therapeutischer Berufe mit Theater- und anderen
Kunstberufen.
Anmerkungen
1 S.a. Bericht zu ICOM-Co-operative Developement Agencys / Lets als Währung
2 Nach dem Moderne-Begriff der alten Fronten links/rechts, Sozialist/Kapitalist, _
Weiterführende Literatur
Zur Pädagogik der Unterdrückten:
Paulo Freire: Pädagogik der Unterdrückten. Hamburg 1973
Joachim Dabisch und Heinz Schulze: Befreiung und Menschlichkeit, Texte zu Paulo Freire. München 1991
Zeitschrift für befreiende Pädagogik der Paulo-Freire-Gesellschaft
Zum Theater der Unterdrückten:
Augusto Boal: Theater der Unterdrückten, Übungen und Spiele für Schauspieler und Nicht-Schau-spieler. Frankfurt 1979/1989
Bernd Ruping (Hrsg.): Gebraucht das Theater. Die Vorschläge von Augusto
Boal: Erfahrungen, Varianten, Kritik. Bei: Bundesvereinigung Kulturelle
Jugendbildung, Küppelstein 34, 5630 Remscheid 1 (vergriffen)
Arbeitsstelle Weltbilder, Agentur für interkulturelle Pädagogik Münster
und Schulstelle der AG Bern: Spiel-Räume, ein Werkbuch zum Boal'schen
,Theater der Unterdrückten'. Münster/Bern 1993 (Südstr. 71b, 48153
Münster, 0251-72009 oder Schulstelle, Monbijoustr. 31, CH-3001 Bern)
Zur Theaterpädagogik:
Gisela Honens (Freiburg) und Rita Willerding (Kassel): Praxisbuch feministische Theaterpädagogik. Frankfurt/M. 1992
Gerd Koch: Lernen mit Bert Brecht. Bertolt Brechts politisch-kulturelle Pädagogik. Hamburg 1979
Zeitschrift Korrespondenzen über Prof. Gerd Koch an der Alice-Salomon-FHS, Berlin
Weitere Texte zum Theater der Unterdrückten (beim
Autor: Fritz Letsch, Theaterpädagoge, München): Szenen für die Szenen,
(Theaterarbeit in der Aids-Prävention) - Mach mir eine Szene
(Theaterarbeit in der Sexualpädagogik) - Die Wüste wächst _
(Bundeskonferenz kath. Studentengemeinden)
Fehler machen dürfen
Zu einer lernenden Organisation gehört eine offene Fehler-Kultur:
Fehler-Bereiche zur Position angemessen definieren, Risiko-Abschätzungen
üben und reflektieren, aus den Fehlern gemeinschaftliches Lernen ohne
Belastung der Person organisieren.
http://www.lernendeorganisation.de.vu
http://de.wikipedia.org/wiki/Lernende_Organisation
http://www.4managers.de/management/themen/lernende-organisation/
dort:
Wie eine Organisation lernt
Eine Organisation kann sowohl mehr, als auch weniger Wissen haben als die Summe ihrer einzelnen Akteure (s.a.
Wissensmanagement)
Nachhaltig lernende Organisation
Durch Beteiligung aller Mitarbeitenden in einem Bereich und durch
Orientierung auf alle Ebenen der Einrichtung und ihrer Umwelt wird ein
Prozeß angeregt, der von den Beteiligten immer wieder selbst angestoßen
und erneuert werden kann.
Die Nachhaltigkeit bezieht sich damit auf den zeitlichen und den umweltbezogenen Kontext und deren Veränderungen.
Start dieses
Themas
http://www.slideshare.net/lembke/lernende-organisation-und-change-management-neu-gedacht
sehr viel frühere Grundlagenarbeit: Fritz Letsch:
Lernen zurückerobern, Theater-Werkstatt-Arbeit als kooperative Arbeitsform
erschienen in: Kulturen des Lernens, Bildung im
Wertewandel, Hg. von Hannelore Zimmermann & Verband unabh.
Bildungsinitiativen und Tagungshäuser Baden-Württemberg, talheimer
sammlung kritisches wissen 1995
Fast alle unsere herkömmlichen Lernstrukturen sind autoritär
organisiert. Vor allem das Lernen und Lehren, aber auch die
verschiedenen Formen von Arbeit und Zusammenarbeit sind von der
Situation eines ,vorne und hinten', eines ,unten und oben' geprägt, auch
wenn in vielen Situationen die Einwegkommunikation aufgelockert wurde.
Obwohl einzelne Lehrende bemüht sind, demokratische Formen einzuführen,
das Prinzip ist geblieben: Die Lehrperson gibt Wissen ab, die Lernenden
dürfen Fragen stellen, jemand gibt Arbeit, andere erledigen sie gegen
Bezahlung; jemand hat Fachwissen, die anderen können es gegen Leistungen
übernehmen. Es wurde uns beigebracht, dass darin ein Gefälle, dass
belehren ein einseitiger Fluss zu sein hätte.
Dabei wird gerade auch im Geschäftsleben und nun auch im ,lean
management' das alte System der Kontrolle durch die Mächtigen von einem
Arrangement aller Beteiligten abgelöst, weil Partnerschaften die Energie
besser fliessen lassen.
Modelle, in denen es auch anders geht, sind reichlich, aber nicht sehr
bekannt. Neben den Selbstverwalteten Betrieben, Belegschaftsbetrieben,
Kooperativen und Genossenschaften sind in den einzelnen Sparten
verschiedene Gemeinschaftsstrukturen entwickelt worden:
Gemeinschaftspraxen, Kanzleigemeinschaften, Kollegen-Netze und
Bürogemeinschaften.
Ein sehr schönes Modell der Übergabe eines ,Chef-Betriebes' in
Belegschaftshand durfte ich Anfang des Jahres in Birmingham erleben: Der
Besitzer einer Installationsfirma für Zentralheizungen mit 14
MitarbeiterInnen möchte in den nächsten zwei Jahren in Ruhestand gehen,
sein Sohn möchte die Firma nicht übernehmen, an die Konkurrenz oder
Aussenstehende möchte er nicht verkaufen.1)
Eine Agentur erstellte ein Programm, zusammen mit der Belegschaft den
Ankauf und die Übernahme der Verantwortung zu organisieren: Die Finanzen
der einzelnen als Teilhaber, den Wert des Betriebes, Modalitäten der
Übernahme, Fortbildungen für das Verständnis des Betriebsablaufes und
ein Entwurf für die Struktur des Betriebes als Kooperative sind einzelne
Elemente dieser Arbeit. Im Verlauf der Übernahme soll den einzelnen
MitarbeiterInnen die Sicherheit und Kompetenz für die Mitverantwortung
vermittelt werden, die zur gemeinsamen Verwaltung notwendig ist.
Solches Lernen nur ,vom Katheter aus' zu organisieren, wäre wie rein
theoretischer Fahr-Unterricht: Ohne das Erleben der eigenen Fähigkeit
und die Ansiedlung im eigenen Erfahrungsfeld und den schon beherrschten
Arbeitsformen sähe das wie eine glatte Überforderung aus.
Die Feststellung dass jeder Mensch, der sich überlegt, ob er sich gerade
noch ein Bier leisten kann, damit eine Haushaltsentscheidung trifft,
und dass neben der scheinbaren Komplexität von Haushaltsplänen und
Bilanzen jedeR sowieso die Konsequenzen der nötigen Entscheidungen
trägt, sind bescheidene Angriffe auf eine Bastion der Macht: Geld und
alles darum herum sind Tabus, von Berufsfertigkeiten der Buchhaltenden
auch wohl behütet. Den gleichen Schutz geben Lehrende ihrem Berufsfeld:
Wir tun das Beste für Euch!
Veränderungen lernen
Gegenbewegungen und ihre Re-Integration: Verschiedene politische
Bewegungen, später unter dem Begriff ,Neue Soziale Bewegungen'
zusammengefasst, haben Veränderungen des HERRschenden (Geschäfts-)Lebens
bewirkt - punktuelle oder auch grundsätzlichere. So wie die
Ostermarschierer zuerst nur die Wiederbewaffnung, die Atomkraftgegner
diese gefährliche Technologie, die Friedensbewegung die Nachrüstung und
die Ökologiebewegung die Zerstörung unserer Lebensgrundlage verhindern
wollten, entstanden noch viele andere Bewegungen, die oft nur an einem
Punkt begannen, aber durch die (Nicht-)Beachtung durch Verantwortliche,
Öffentlichkeit oder staatliche Gewalt breiter, kritischer und
politischer wurden.
Durch solche Konfrontationen und dem Gefühl der eigenen Machtlosigkeit
entdeckten immer wieder mehr Menschen die ,Gewaltfreie Aktion'. In der
BRD werden unter diesem Namen schon lange Trainings angeboten, die für
eine politische Einmischung und Veränderung qualifizieren. Die Grundidee
hierfür kam aus der gewaltfreien Bewegung Ghandis, die Methoden aus den
Bürgerrechtsbewegungen der USA, die Anwendungsidee aber kommt aus dem
jeweiligen Kontext einer Gruppe, die ihre Aktion selbst entwickelt und
durchführt. TrainerInnen können von den Gruppen herangezogen werden, um
an den Ursachen des Problems, den Zielen der gemeinsamen Arbeit und der
Umsetzung der beschlossenen Aktionen zu arbeiten - neue Wege
erschliessen sich, wenn gängige Reaktionsmuster aufgegeben werden.
Die Krankheiten des Systems und ihre sprechenden Symptome erfordern
Žnderung statt Anpassung. Den einzelnen Symptomen muss auf den Grund
gegangen werden, damit eine Veränderung Konsequenzen haben kann: auf
Macht und Geld, Status und eigene Sicherheit, auf Gewohnheit und
Sonderrechte. Die Angst vor Verlusten ist so das grösste Hindernis, klar
und bewusst auf eine Problematik zuzugehen.
Eine Lust auf Veränderung ist dagegen nur mit Entdeckungen zu wecken:
Wenn das ,Andere' denkbar wird, folgen Versuche ihm näher zu kommen
unmittelbar. Die Suche nach Verbesserungen ist der Motor unserer
Entwicklung. Diese Lust mitzumachen, kann aber nur in offenen Systemen
gemeinschaftlichen Lernens erfahren werden. Schulen, Universitäten und
Betriebe lassen in ihrer hierarchischen Struktur kaum konkurrenz- und
wertfreie Räume zu.
Die Möglichkeiten der freien Szenen erscheinen im Gegensatz dazu zwar
zuerst oft vage und undeutlich, bringen aber weit interessantere
Ergebnisse, als die herkömmlichen Formen des Unterrichts - gute
Moderation und Anleitung vorausgesetzt. Das gemeinsame Lernen und
Entwickeln an einer Thematik setzen auch sehr viel tiefer an der
Motivation der einzelnen an, so dass Kraft und Energie in besonderer
Weise freigesetzt werden.
Diese Erfahrungen werden heute immer noch weitgehend vernachlässigt, es
findet keine Übersetzung in die alltägliche Praxis unserer Kinder,
Studierenden und Mitarbeitenden statt: Nur in wirklich erlebter
Gemeinsamkeit, im gleichberechtigten Austausch in allen Teilen ist diese
Motivation zu wecken. Dass vor allem Lehrende sich damit so schwer tun,
ist für mich ein ernüchternder Schrecken: Viele haben tatsächlich nur
Stoff abzugeben, haben keine grundlegende Kommunikation gelernt. Aber:
Wer Kindern Stoff verabreicht, macht sie süchtig.
Wie sich Schulen zu Kinder-, Jugend- und Lernzentren entwickeln könnten,
in denen ihre natürliche Neugierde nicht zerstört wird, in denen sie
auch lernen, sich vor dem unberechtigten Zugriff Erwachsener zu
schützen, ihre eigenen Interessen herauszuarbeiten und zu vertreten,
statt eine verdummende Jugendzeit zu verbringen, müssen wir alle erst
lernen. Es gab derartige Traditionen und es wird nötig sein, neue
Bräuche dieser Art zu entwickeln, offene Traditionen zu finden.
Lust an Arbeit
Von verdorbenen Begriffen zum eigenen Inhalt: Beim Wort ,Arbeit'
reagieren die meisten Menschen, die ich kenne, eher negativ. Ich arbeite
gerne, ohne davon süchtig zu sein, weil mir die meisten Aufgaben Spass
machen oder mich längerfristig weiterbringen. Bei vielen ist allerdings
nicht nur der Begriff verdorben, sondern auch der Inhalt: sie fühlen
sich nicht ernst genommen, empfinden ihr Schaffen ziellos, ärgern sich
über lästige Kollegen, es fehlen ihnen Verbindungen zur eigenen
Identität.
Auch die alte Theologie schlägt noch auf die heutige Wirklichkeit durch:
Leben und Arbeit wären Leiden, nur gesegnete Menschen lebten im
Reichtum, der Rest muss Fron erleiden. Mit unserer heutigen Denkweise
ist dies zwar nicht mehr zu vereinbaren, aber diese alten Bilder wirken
noch, stecken ganz tief in uns. Würden wir sonst so unreflektiert die
Mythen des Kapitals schlucken? Doch nicht nur, weil wir zur ,Belohnung'
kurz mal in den Urlaub fliegen dürfen?
Das eigene zu definieren ist nur möglich, wenn wir auch selbstbewusst
sind. Dieses Wissen um unser Selbst entsteht im Austausch mit anderen
und kann damit auch nur gemeinsam entwickelt werden. Der Verlust vieler
Verbindungen und auch der Rituale, die Kontakte organisieren können, hat
zu grosser Unsicherheit geführt, die nur im Dialog aufgehoben werden
kann, und für die unsere Medienlandschaft kein Ersatz sein kann. Nur
durch die konkreten Auseinandersetzungen erleben wir uns als Teil
unserer Mitwelt, nur das gibt uns letztendlich die Anerkennung,
Geborgenheit und Sicherheit, auf die wir uns verlassen können. Die allzu
bekannten Spielformen der Oberflächlichkeiten täuschen Verbindung nur
vor, verankern uns nicht in unseren Zusammenhängen.
Wenn wir unsere tieferen Erfahrungen, die sich oft nur in unseren
Gefühlen ausdrücken, ernst nehmen, wird allzu oft deutlich, dass unsere
Lebensformen den eigenen Bedürfnissen oft nicht gerecht werden (können).
Da ein Patentrezept, das für alle gelten kann, nicht in Sicht ist,
sollte vielleicht jeder damit beginnen, den eigenen Stil selbst-bewusst
zu definieren und den anderen als wandelbar und auseinandersetzungsfähig
darstellen.
In Systemen vernetzt denken
Hinter dem Stichwort ,Vernetzung' verbirgt sich eine neue Denkrichtung,
die uns Veränderungen gegenüber wacher macht: das Systemische Denken.
Ausgangspunkt ist, dass alle Menschen Teile eines Systems sind, durch
das sie die Welt begreifen und je nach ihrem Standort (Wissen,
Erfahrung, Stellung, Herkunft) für sich definieren. Indem ich Kontakt zu
anderen, mir bisher fremden Teilsystemen und -ebenen aufnehme, wird die
eigene Definition wieder in Frage gestellt.
Indem wir begreifen, dass wir das System anderer nicht einfach in unser
eigenes einfügen können, sondern in der Realität mit mehreren Systemen
und Blickwinkeln leben, ist die Vernetzung ein offener Austausch, eine
mögliche Begegnung von anerkannt Verschiedenem. Diese Anerkennung
beinhaltet den Respekt vor den Positionen der anderen und muss folglich
auch von einer mehrfach verschiedenen Sicht der Welt und unserer
Existenz darin ausgehen. Eine Verständigung wird in der Begegnung
möglich, die nicht die anderen zum eigenen Standpunkt missionieren will.
Eine der Grundlagen dafür ist, den ,Besitz der Wahrheit' als Haltung
aufzugeben.
Von verschiedenen Blickwinkeln zum Gemeinsamen: Wir haben in unseren
hierarchischen Systemen gelernt, dass die Wahrheit von oben definiert
wird, wenn auch alle dabei von Demokratie und Gemeinsamkeit reden. Ein
offener Umgang mit mehreren Wahrheiten ist in unseren
Kommunikationsformen nicht vorgesehen.
Ich möchte im folgenden einige Formen des ,Theaters der Unterdrückten'
vorstellen, die es ermöglichen, mit der Realität aus dem eigenen und dem
fremden Blickwinkel umzugehen. Damit kann eine Sicht auf das Gesamte
unserer Gesellschaft und unserer Wirklichkeit ermöglicht werden. Das
,Theater der Unterdrückten' in der Art von Augusto Boal korrespondiert
in seinen Grundlagen mit der Pädagogik Paulo Freires und mit den
Prinzipien der Kritischen Psychologie.
Im Rahmen meiner Arbeit hier suche ich noch einen passenden Begriff.
,Theater der Unterdrückten' wird in unserem Kontext oft falsch
verstanden, mit dem klassenkämpferischen Zungenschlag der Moderne
zusammengebracht. Dabei überwindet gerade diese Methodik die
Front-Definition. Als Versuch der Neubenennung ist der Begriff ,Reale
Theaterarbeit' im Gegensatz zum ,Illusionstheater' entstanden.
Beispiel: Reale Theaterarbeit
Das Wort Theater ist missverständlich geworden, seit viele Menschen
aufgebrochen sind, die alten Spiele und Rituale zur Deutung und
Ver-Deutlichung ihres Alltags einsetzen. Die TheaterwissenschaftlerInnen
kommen kaum nach, die Kriterien und Abgrenzungen für die jeweiligen
Methoden fortzuschreiben. Was zwischen Improvisation, Psychodrama,
Rollenspiel, Lehrstück-Arbeit, Theatertherapie, etc. entworfen und
entwickelt worden ist, lässt sich natürlich jeweils ableiten und
einordnen, so auch meine Arbeit.
Mein Spezialbereich ist das ,Theater der Unterdrückten', wie es uns
Augusto Boal aus Brasilien ins europäische Exil mitgebracht hatte. Er
wiederum bezieht sich (neben etlichen anderen) vor allem auf Brecht: Die
Arbeit an der Erkenntnis entspricht sehr dem Ansatz der
Bewusstseinsbildung bei seinem pädagogischen Landsmann und Kollegen
Paulo Freire.
Die offene Sammlung von Methoden, die das Theater der Unterdrückten
neben einem Grundkanon darstellt, kann auch unseren Kontext der
verdeckten Mechanismen und Tabus durchleuchten helfen und eine
spielerische Erkenntnis-Anleitung in unsere verschiedenen sozialen und
pädagogischen Lernfelder bringen.
Der Begriff ,Reale Theaterarbeit' ist ein Versuch, im Gegensatz zu Literatur-Inszenierungen, das Eigene in Szene zu setzen.
1. Die Methoden des ,Theaters der Unterdrückten'
,Das Theater der Unterdrückten ist immer Dialog: Wir lehren und lernen
(_). (Es) geht von zwei Grundsätzen aus: Der Zuschauer, passives Wesen,
Objekt, soll zum Protagonisten der Handlung, zum Subjekt werden und das
Theater soll sich nicht nur mit der Vergangenheit beschäftigen, sondern
ebenso mit der Zukunft. Schluss mit einem Theater, das die Realität nur
interpretiert; es ist an der Zeit, sie zu verändern (_). Theater der
Unterdrückten' heisst Auseinandersetzung mit einer konkreten Situation,
es ist Probe, Analyse und Suche" (Boal 1980, S. 68).
Das Statuen-Theater ist ein Grundelement gemeinsamer Theaterarbeit, es
ist wie der Buchstabe in der Sprache der Bilder. Die Technik ist
einfach, die Zuschauer setzen ihre Vorstellungen in ein Gruppenbild um,
mit Hilfe der Ausdrucksmöglichkeit ihrer zu Statuen erstarrten Körper.
Damit wird einer Unterdrückungssituation ein Gesicht gegeben, das die
Vielschichtigkeit der jeweiligen Situation in Szene setzt. Diese Bilder
geben mehr Einblick in die Komplexität von Situationen als lange
Erklärungen und Diskussionen, weil die persönliche Sicht- und
Erlebensweise ganz deutlich wird.
Ausgangspunkt für das Statuen-Theater ist ,eine Runde
Körperbewusstsein', bei mir eingeleitet durch einfache Übungen von Fuss
bis Kopf, die neben der Beweglichkeit und Aufmerksamkeit auf
Deformationen des Körpers und mit den Variationen unseres Ausdrucks im
jeweiligen sozialen Kontext spielen.
Der Übergang zum Forum-Theater ist dann fast fliessend: Wenn ein Bild
von Unterdrückung und Resignation aus dem Statuentheater in einen
sozialen Kontext gesetzt und um die Handlungsebene mit Sprache, Gestik,
Bewegung und Handlung versehen wird, kommt ,Handlungsbedarf' ins
Publikum: Der Wunsch, Resignation und Unterwerfung nicht mit ansehen zu
müssen, und eigene ähnliche Erfahrungen oder Žngste lassen meist im Nu
Teilnehmende aufspringen und Versuche eines anderen Ausganges der Szene
entwerfen und erproben.
Der Zuschauer kann über den Joker Einfluss auf den Spielverlauf nehmen.
Der Joker vermittelt zwischen den Spielszene-SchauspielerInnen und dem
Publikum. Er stellt dem Publikum knapp das Umfeld der Szene vor, macht
vielleicht auf Besonderheiten in einzelnen Rollen aufmerksam (Alter,
Geschlechtertausch, Beruf, Schicht, etc.) und lädt das Publikum nach der
ersten Vorstellung der Szene zur Veränderung ein. Wichtig ist dabei,
dass alle neuen Versuchspersonen in der Wiederholung die gleiche
Ausgangsszene bekommen und diese auch nicht einfach magisch verändern
dürfen.
Verschiedene Techniken des Bilder-Theaters, auch ,images' genannt,
dienen vor allem der Vertiefung und genaueren Untersuchung von Szenen.
Dabei wird die Ausgangs-Statue oder eine Passage aus einem Forum-Theater
genommen und durch die anderen Teilnehmenden mit den Polizisten im
eigenen Kopf konfrontiert, die (ähnlich die Eltern- und Lehrer-Ichs) die
eigenen Über-Ich-Rollen aussprechen sollen, welche Assoziationen die
anderen TeilnehmerInnen in die Szene tragen. Aus dieser ,kollektiven
Projektion' wählen dann die spielenden Personen Anteile aus, die ihnen
interessant und wichtig erscheinen.
Der Regenbogen der Wünsche ist eine sehr ähnliche Methodik, die
allerdings vor allem die möglichen Wünsche der beteiligten Personen in
den Projektionen aufscheinen lässt. Die Spielenden wählen auch hier
wieder die Ideen der hinter ihnen sprechenden Personen aus, die ihnen
selbst im Kontext hilfreich sein könnten.
Daneben gibt es noch eine Menge von Techniken und Übungen, die zur
genaueren Erforschung einer Thematik dienen können. Das Unsichtbare
Theater zählt für mich in unserer Kultur zu diesen Werkzeugen. Es ist
eine gute Hilfe, Tabus auf ihre Wirksamkeit und ein Publikum auf unsere
Vorurteile hin zu überprüfen. Einen anderen als einen
kritisch-reflektierten Einsatz kann ich nicht befürworten, weil eine nur
spielende Verwendung zu unfruchtbaren Irritationen aller Beteiligten
führt.
Regelmässig wird mir die Frage gestellt, wie die Grenze zu Psychodrama
und Therapie zu ziehen ist. Der Hinweis von Augusto Boal, dass unser
gesamtes Handeln immer gleichzeitig psychologisch, pädagogisch und
politisch ist, ist für das verantwortliche Berufshandeln vieler keine
Hilfe, kann aber eine Richtung weisen:
,Theater der Unterdrückten' wird immer auf den sozialen und
pädagogischen Kontext eingehen und dabei Mechanismen und Prägungen
unserer Psyche wahrnehmen, anspielen und austauschen, ohne auf der
psychologischen Ebene in die persönlichen Geschichten zu gehen, wohl
aber den politischen Hintergrund zu bearbeiten. So liegt gerade in der
Projektionsebene ,der Polizisten und der Wünsche' der Reiz in der
Situationswiedergabe der ganzen Gruppe. Im klaren Blick auf die
gemeinsame Prägung versteht sich die einzelne spielende Person dann als
beispielgebende, nicht als Deutungsobjekt der anderen.
Vom Rollenspiel hebt uns der weitergehende Schritt zur ,Probe auf die
Wirklichkeit' ab. Was zumindest in den mir bekannten Rollenspiel-Riten
oft an der Person oder ihrer Situation hängenbleibt, wird im ,Theater
der Unterdrückten' auf die gesellschaftliche Wirklichkeit übertragen:
Stimmt meine Interpretation eines Zusammenhanges auch in einem anderen
Bereich? Žndert eine neue Sichtweise auch andere meiner Lebensbereiche?
Auf der Suche nach authentischen Verhaltensweisen geraten wir jeweils
über fachliche und berufliche Grenzen zu neuen Fragen.
Von der Spielpädagogik zum eigenen ,Ernst des Lebens' führt somit ein
gradliniger Weg, der auch sofort gemeinsam begangen werden kann. Der
unverbindliche ,Spass' wird dadurch nicht zur sturen Arbeit, sondern zu
einem tieferen Erleben gemeinsamen Ausprobierens, das manchmal
makabererweise, in den tiefsten und bittersten Situationen die beste und
herbste Komik bekommen kann.
Aufbrüche wagen
Das ,Reale Theater', das ,Theater der Unterdrückten' taugt zu
szenischer Arbeit in postmodernen Verhältnissen, weil es das Denken in
systemischer Vielfalt in den Szenen und in der gemeinsamen Regiearbeit
transparent machen kann. Ausgehend von den Kernszenen, die in den
Statuen - oder in den Forum-Bildern von Teilnehmenden vorgestellt
werden, entwickeln wir ja gemeinsam den Blick auf Mechanismen der
Unterdrückung (und Unterwerfung), in der die Wahrnehmung jeder Person
unbestritten neben die der anderen gestellt wird. Dabei geht es aber
nicht um Beliebigkeit, sondern um Einfühlung: Da jeder Mensch mit seiner
Geschichte und seiner Art verschieden fühlt, werden wir nicht die
gleichen Lösungen für alle finden.
Auch wenn wir regelmässig mit den Fertiglösungen, z.B.
kämpferisch-linker Positionen, zu tun haben (die wissen oft, wie den
Unterdrückten zu helfen ist), sind alt-moderne Reaktionsweisen 2)
meistens nicht mehr befriedigend: Jede ArbeitnehmerInnensituation ist
heute nicht einfach auf der Autoritäts- oder Abhängigkeitsebene
abzuhandeln, neben gewerkschaftlicher Entwicklung gilt es auch die
programmierte Arbeitslosen-Steigerung, verschiedene
Bewusstseinsentwicklungen und politische Rückfälle mitzudenken. Die
Auswege, zu Spass-Politik oder Privatisierung der Problematik, zu
Ein-Punkt-Bewegung oder Karriere, führen immer wieder zurück zu den
Fragen von Konkurrenz oder Solidarität und scheitern oft am Verlust des
gesellschaftlichen Konsenses, an persönlichen Problematiken oder
Kommunikationsschwächen.
Die Darstellung unserer Wahrnehmung in Theaterszenen führt uns erst bei
geübter und genauer Arbeit zur sicheren Haltung gegenüber Verwirrung,
Sprachlosigkeit und Indifferenz. In der ersten Erprobung kämpfen etliche
Teilnehmende mit der Fülle der Eindrücke und Möglichkeiten, weil wir
nicht geübt sind, selbst verschiedene Blickrichtungen einzunehmen und
differenziert mit den jeweils verschiedenen Žusserungen anderer
umzugehen.
Einerseits ermöglicht so die reale Theaterarbeit sehr intensive
Begegnungen und einen tiefgehenden Austausch, sie fordert auf der
anderen Seite auch die Fähigkeit selbst für Überblick, Einfühlung,
Wechsel und Disziplin in der eigenen Reaktion zu sorgen: Bei vielen
Teilnehmenden löst die intensive Arbeit eine breitere Palette von
Gefühlen aus, als sie sonst gewöhnt sind. So wird aus gemeinsamer
Theaterarbeit auch sehr oft ein persönlicher Aufbruch, eine Reaktion auf
schon lange bedrängende Einengungen.
Der Aufbruch aus Kunstbereich, Vermarktung und autoritären Verhältnissen
täte aber auch dem Theater insgesamt gut: Zwischen Staatstheatern,
Selbstausbeutung und (un-)möglichen Karrieren, Namen- und Star-Rummel
und der Sucht nach Berühmtheit ist heute keine vernünftige und
verantwortbare Arbeit mehr zu machen: In zunehmend demokratischen
Verhältnissen werden wir auseinandersetzungsfähiger sein müssen, als das
in durchaus auch bequemen autoritären Beziehungen von allen gelernt und
gefordert ist.
Theaterarbeit in der Werkstattform stellt sich natürlich auch gegen die
HERR-schenden Kunstbegriffe, die vor allem auf autoritären Prinzipien
(z.B.: Theater-Papst!) beruhen, aber kaum der Žsthetik der Allgemeinheit
oder des einzelnen entsprechen. Das gleiche Phänomen ist am Kunstmarkt
zu verfolgen: Manche Fälschungen wären teurer als Originale, die
Kriterien sind nur in der Lust der einzelnen Person zu finden, werden
aber im allgemeinen vom Geschmack und der Nachahmung anderer abgeleitet.
Unser Geschmack kann sich aber an der Art des Betreffens orientieren:
Das Nichts-Sagende wird nur durch künstliche Finanzierung und Gewohnheit
oder Brauchtum zur Kunst erklärt. Nur das eigene Tun kann uns anleiten,
stimmigen Geschmack und Gefühl wiederzufinden.
Für die Lehrenden bringt diese Arbeitsform das Wagnis neuer Rollen: Aus
der autoritären Belehrung mit dem immer neuen Problem der Motivierung
wird nun die qualifizierte Moderation: Die Anleitung von
selbstorganisierten Lernprozessen erfordert einige andere Fähigkeiten,
aber vor allem eine bewusste und reflektierte Pädagogik. Das gleiche
gilt für den/die SpielleiterIn: Als Joker im Forum-Theater besteht die
Aufgabe, eine Szene in verschiedenen Variationen zum Sprechen zu bringen
und zusammen mit dem (mitspielenden) Publikum zu ergründen.
Wichtigste Lerngrundlage ist dazu (neben dem Mut zu neuen Erfahrungen in
der Praxis) die kritische Reflexion im kollegialen Austausch, in der
die eigenen Anteile und die möglichen Fehler aus der jeweiligen
Situation besprochen werden können.
2. Die ,Neu-Heit' des Forschens
In unseren Schulen lernen wir im allgemeinen nicht ein Denken in
Zusammenhängen, sondern gehäufte Stoff-Mengen in zerrissenen Fächern,
nur im besten Falle (bei besonderer Fähigkeit einzelner, vielseitiger
oder zusammenarbeitender Lehrkräfte) ein zusammenklingendes Gemisch
verschiedener Wissensbereiche kennen. Wie in ,Trivial Persuit' entsteht
eine Ansammlung verschiedenster Fachwissen, die aber nicht
funktionalisiert werden können. So ist es am Ende kein Wunder, dass die
Mehrzahl der scheinbar Angelernten mit lexikalischem Wissen sich
anschliessend so ,anstellt', dass sie ,arbeitlos' bleibt: Aber was ist
das eigentlich, arbeitslos?
Ist nicht das Trimmen auf Anstellungen der Fehler, den angestellte und
verbeamtete Lehrende machen müssen? Natürlich regeln BAT und
Handwerksordnung, berufsständische Organisationen und Gewerkschaften in
ihrer Wirkung das Verhalten in unserer Gesellschaft - aber wer spricht
endlich einmal offen aus, dass sie alle nicht am Los der
Nicht-Privilegierten interessiert sind, weil sie Privilegien
verteidigen?
Solche Gedanken entstehen nicht in diesen Institutionen, sondern eher
gegen sie: Dazu brauchen wir im Kopf die Grenze als Lern-Ort. Auch die
Ausgegrenzten sind in ihrer Situation meist nicht fähig zu reagieren,
weil bei ihnen die Grenze schon gewirkt hat: Sie halten sich selbst für
unbrauchbar, wert-los. Aus dieser Situation in ein Lern- und
Forschungsprojekt zu kommen, ist aber eben sehr schwer zu organisieren.
Ein denkbarer Bereich ist die Sozial-arbeit und Sozialpädagogik, dieser
ist leider eher mit Helfersyndromen oder Ordnungskriterien befasst, als
mit der Fähigkeit, eine andere Pädagogik zu starten, die die Beteiligten
aufwertet.
In der Jugendarbeit werden schon seit längerem neue Wege gesucht. So
konnte im bayerischen Jugendring über Jahre zuerst in Wochenendseminaren
(als ,Aktionstheater' getarnt) die Methodik des ,Theaters der
Unterdrückten' vermittelt werden, bis dann eine Fortbildungsreihe aus
drei Einheiten unter dem Titel ,stop! tabu" zum Kennenlernen der
einzelnen Schritte bis zur eigenen Anwendung und Bearbeitung einzelner
Inhalte führte. In der Aufteilung von Elementen der eigenen Körperarbeit
und der Anwendung mit Jugendlichen, von Themen der Teilnehmenden und
Themen der Zielgruppe und der Unterscheidung der Erfahrungen in der
Lern- und Anleiterrolle entstand über ein Jahr hinweg eine intensive
Reflexion der eigenen Pädagogik und ihrer Auswirkung in der
Berufspraxis.
Studierende der Alice-Salomon-Fachhochschule für Sozialwesen in Berlin
entwickelten für ein viersemestriges Projekt, ,Theaterarbeit mit
Randständigen', eine Reihe von Lehraufträgen und Lernsituationen, in
denen sie sich mit den Möglichkeiten der theaterpädagogischen Arbeit in
ihren angestrebten Berufsrichtungen auseinandersetzen.
Spannend wäre für mich eine fortlaufende Entwicklung und Anwendung
solcher Reflexionsebenen in der Mischung verschiedener sozialer,
pädagogischer und therapeutischer Berufe mit Theater- und anderen
Kunstberufen.
Anmerkungen
1 S.a. Bericht zu ICOM-Co-operative Developement Agencys / Lets als Währung
2 Nach dem Moderne-Begriff der alten Fronten links/rechts, Sozialist/Kapitalist, _
Weiterführende Literatur
Zur Pädagogik der Unterdrückten:
Paulo Freire: Pädagogik der Unterdrückten. Hamburg 1973
Joachim Dabisch und Heinz Schulze: Befreiung und Menschlichkeit, Texte zu Paulo Freire. München 1991
Zeitschrift für befreiende Pädagogik der Paulo-Freire-Gesellschaft
Zum Theater der Unterdrückten:
Augusto Boal: Theater der Unterdrückten, Übungen und Spiele für Schauspieler und Nicht-Schau-spieler. Frankfurt 1979/1989
Bernd Ruping (Hrsg.): Gebraucht das Theater. Die Vorschläge von Augusto
Boal: Erfahrungen, Varianten, Kritik. Bei: Bundesvereinigung Kulturelle
Jugendbildung, Küppelstein 34, 5630 Remscheid 1 (vergriffen)
Arbeitsstelle Weltbilder, Agentur für interkulturelle Pädagogik Münster
und Schulstelle der AG Bern: Spiel-Räume, ein Werkbuch zum Boal'schen
,Theater der Unterdrückten'. Münster/Bern 1993 (Südstr. 71b, 48153
Münster, 0251-72009 oder Schulstelle, Monbijoustr. 31, CH-3001 Bern)
Zur Theaterpädagogik:
Gisela Honens (Freiburg) und Rita Willerding (Kassel): Praxisbuch feministische Theaterpädagogik. Frankfurt/M. 1992
Gerd Koch: Lernen mit Bert Brecht. Bertolt Brechts politisch-kulturelle Pädagogik. Hamburg 1979
Zeitschrift Korrespondenzen über Prof. Gerd Koch an der Alice-Salomon-FHS, Berlin
Weitere Texte zum Theater der Unterdrückten (beim
Autor: Fritz Letsch, Theaterpädagoge, München): Szenen für die Szenen,
(Theaterarbeit in der Aids-Prävention) - Mach mir eine Szene
(Theaterarbeit in der Sexualpädagogik) - Die Wüste wächst _
(Bundeskonferenz kath. Studentengemeinden)